Der Bedarf an preisgünstigen Wohnungen ist enorm gestiegen. Das geht aus einer Untersuchung des Pestel-Instituts hervor, die von der IG BAU in Auftrag gegeben wurde. Insgesamt würden in Deutschland derzeit mehr als 8,5 Millionen Wohnungen „auf niedrigem, bezahlbaren Miet-Niveau“ benötigt, teilt die Gewerkschaft mit.
Insbesondere in Städten und Ballungsräumen sei der Bedarf hoch, heißt es in einer Mitteilung der IG BAU. Deren Vorsitzender Robert Feiger sagt: „In den vergangenen zehn Jahren hat die Anzahl der Menschen, die auf eine Wohnung mit niedriger, bezahlbarer Miete unbedingt angewiesen sind, drastisch zugenommen – um 1,28 Millionen Personen. Das ist ein Zuwachs von 10,7 Prozent.“ Dabei habe es bis zum Beginn der Corona-Pandemie eine außerordentlich positive Beschäftigungsentwicklung gegeben. „Das passt nicht zusammen“, meint Feiger.
Nur Altmietverträge bezahlbar?
Für die Untersuchung hat das Pestel-Institut ermittelt, wieviele Bedarfsträger*innen für sozialen Mietwohnraum es gibt, gemessen an der 2019 gültigen Armutsgefährungsschwelle. Als armutsgefährdet gelten zum Beispiel Alleinstehende mit einem Nettoeinkommen von weniger als 1.170 Euro im Monat oder Paarhaushalte mit Kindern, die unter 2.500 Euro netto verdienen. Zusammengerechnet kommt das Institut auf knapp neun Millionen Haushalte. Weil das Institut davon ausgeht, dass knapp 0,5 Millionen dieser Haushalte Wohneigentum besitzen, verbleiben rund 8,5 Millionen mit Bedarf an Sozialwohnungen oder anderen entsprechend günstigen Mietwohnungen.
Den Zahlen des Pestel-Instituts zufolge sind die Mieten in den kreisfreien Städten im vergangenen Jahrzehnt um knapp 46 Prozent gestiegen. Für Durchschnittsverdiener*innen seien Wohnungen dort in der Regel nur bezahlbar, wenn sie Altmietverträge haben, bemängelt Feiger.
Sozialbau-Offensive gefordert
Er fordert einen wohnungsbaupolitischen Kurswechsel und eine „Offensive Sozialbau“. Aktuell gebe es auf dem Wohnungsmarkt weniger als 1,2 Millionen Sozialwohnungen. Die Zahl hat in den zurückliegenden Jahren abgenommen, weil die Bindung als Sozialwohnung oft zeitlich befristet ist und viele Fristen ausgelaufen sind. Damit entfallen die Mietpreisbindungen und Belegungsrechte. Laut IG BAU müssten bis 2030 jährlich rund 160.000 Wohneinheiten mit Sozialbindung zusätzlich geschaffen werden, um den Bestand wieder auf mindestens zwei Millionen zu erhöhen. Über dieser Schwelle lag die Zahl der Sozialwohnungen zuletzt 2007.
In der laufenden Wahlperiode wurde das Grundgesetz bereits so geändert, dass der Bund die Länder und Kommunen auch weiterhin bei der Schaffung von Sozialwohnungen unterstützen kann. Auf Drängen der SPD investiert der Bund bis 2021 5,5 Milliarden Euro in den sozialen Wohnungsbau. Trotzdem ist die Gesamtzahl der Sozialwohnungen auch in den vergangenen drei Jahren weiter gesunken.
Sozialwohnungen sollen dauerhaft bestehen bleiben
Die IG BAU spricht sich auch dafür aus, vom Prinzip „Sozialwohnung auf Zeit“ abzurücken. „Das Ziel muss sein: einmal Sozialwohnung – immer Sozialwohnung“, fordert Feiger. Der Staat müsse bezahlbares Wohnen als Teil der Daseinsvorsorge begreifen. „Die staatliche Förderung kann dann neben dem Neubau von Sozialwohnungen auch in den Ankauf und Sanierung bestehender Wohnungen mit Sozialmieten investiert werden“, sagt der Vorsitzende der Gewerkschaft.
Zudem plädiert Feiger für die Einführung einer neuen Wohngemeinnützigkeit. Dann wären „in erster Linie regionale Wohnungsunternehmen, die sich zu ihrer sozialen Verantwortung bekennen, gefordert, im Rahmen der Daseinsvorsorge gezielt dauerhaft den bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, der vor Ort benötigt wird.“ Kommunen müssten verstärkt in die Lage versetzt werden, besonders benachteiligte Haushalte mit Wohnraum zu versorgen. Dies sei nur durch mehr Sozialwohnungen im kommunalen Eigentum oder direkte Belegungsrechte der Kommunen zu gewährleisten.
Tarifverhandlungen in Baubranche und im öffentlichen Dienst
Der IG BAU liefern die Zahlen des Pestel-Instituts neue Argumente, die sie in den laufenden Tarifverhandlungen für die Baubranche in die Waagschale legen können. Drei Verhandlungsrunden für die 850.000 Beschäftigten im Bauhauptgewerbe sind ergebnislos abgebrochen worden. Am Mittwoch wollen IG BAU, der Baugewerbe-Verband ZDB und der Hauptverband der Bauindustrie (HDB) zu einem ersten Schlichtungstreffen zusammenkommen. Die IG BAU fordert trotz Corona-Krise einen Lohnzuwachs von 6,8 Prozent, mindestens aber 230 Euro mehr pro Monat (für Azubis 100 Euro). „Bauarbeiter sollten in der Lage sein, sich von den Wohnungen, die sie bauen, wenigstens einige auch leisten zu können“, so Feiger. Die Arbeitgeber hätten bisher kein Angebot vorgelegt, kritisiert die IG BAU.
Tarifverhandlungen stehen auch für die 2,5 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen bevor. Der Auftakt ist für den 1. September geplant. Der Lüneburger Oberbürgermeister Ulrich Mägde (SPD) sieht bei den Gehältern jedoch wenig Luft nach oben. „Im Augenblick gibt es nichts zu verteilen“, sagte er der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung. Die Gewerkschaft verdi will Ende August ihre Forderungen bekanntgeben. Verdi-Chef Frank Werneke ließ bereits verlautbaren: „Unser Ziel ist eine Gehaltserhöhung, und zwar eine, in der auch die herausragende Leistung und die wichtige Rolle der öffentlichen Beschäftigten in der Covid-19-Pandemie ablesbar ist.“
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Untersuchung des Pestel-Instituts (PDF)